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  • AutorenbildFilipando Warmudoz

Ama qopata raychu

Gestrandet

Tienes guitaras pequenas? fragt die Blonde den Meister, der hinter seiner Werkbank weiterhobelt. Ohne seinen Kopf zwischen unfertigen Gitarren und teils selbstgebauten Werkzeugen zu heben, weist er mit einer kurzen Handbewegung und unverstänlichen Gebrumm auf die Glasvitrine ihm gegenüber. Sie übersetzt der Brünetten und sie drehen sich suchend zu dieser um. Es ist ein kleiner Laden. Touristen sieht man hier selten. Die zwei Mädchen sind durch Zufall hier gelandet. Sie wunderten sich noch warum der Langstreckenbus so viele Stops machte, aber da sie dieses Land zum ersten Mal bereisen, begnügten sie sich zunächst mit der Vermutung, dass das hier wohl so sei. Als sie schlussendlich dann doch einen einheimischen Passagier über den Bus befragten wussten sie, dass es nicht so ist. Sie erfuhren auch, dass sie in die entgegengesetzte der geplanten Richtung unterwegs waren, weshalb sie bei der folgenden Haltestelle ausstiegen und hier landeten. Sie wollten gleich wieder zurück zu ihren Ursprungsort, doch dann mussten sie feststellen das diese Verbindung nicht besonders frequentiert ist. Von einem Fahrplan ganz zu schweigen. Es würde sich sowieso niemand daran halten. Auf der Straße war niemand zu sehen. Nur eine alte Frau saß ihnen gegenüber auf einer Verander und starrte sie an. Als die Blonde sie auch erblickte, winkte sie. Von der Alten keine Regung. Sie wandte sich kurz ihrer Freundin zu und wechselte die Straßenseite. In flüssigen Schulspanisch erkundigte sie sich nach dem nächsten Bus. Die Alte murrte: Hoy no hay mas. Die Erwartungen der Brünetten, die mit einer Wartezeiten von ein, maximal 2 Stunden rechnete, wurden entäuscht. Morgen wieder. Wahrscheinlich. Etwas genervt von ihrer Verplantheit und doch achselzuckend, hinnehmend machten sie mittags Feierabend und quartierten sich in einem kleinen Gasthof ein, entledigten sich ihrer Rucksäcke und machten sich von Neugier und Hunger getrieben auf Erkundungstour.


Der Ausländer

Sie einigen sich auf eines der Verkaufsstücke und die Blonde fragt nach dem Preis. Jetzt übernimmt ungefragt der Sohn des Gitarrenmeisters und antwortet: 200 Pesos. Die Beiden beraten sich kurz und die Brünette fischt die Scheine aus ihrer Tasche. Die übergibt sie dem Sohn, der es mit derselben Armbewegung mit der er es annimmt, seinen Vater weitergibt. Der steckt es ohne den Kopf zu heben in seine Schurztasche. Vielleicht wären sie beim Preis noch etwas herunter gegangen, aber somit behält das Handwerk seinen Wert, rechtfertigt sie sich bei sich selbst. Sie nimmt die Gitarre voll Vorfreude in ihre Arme und blickt noch kurz zurück als sie mit ihrer Freundin den kleinen Laden verlässt. Dabei bemerkt sie erst die dritte Person darin: ein nordländisch wirkender, junger Mann. Gutaussehend, aber sein blonder Vollbart lässt ihn etwas verwarloster erscheinen. Wie auch die anderen zwei bearbeitet er gerade eine Gitarre. Wäre der Radio nicht eingeschalten, würde man nichts hören außer Handwerk. Er ist nicht auffällig und doch passt er nicht recht ins Bild. Er ist ein Gestrandeter, der dabei ist eine neue Seite an sich und dadurch auch sich selbst etwas mehr zu finden. Hier ist er Gitarrenbauer. Naja. Zumindest Lehrling eines Gitarrenbauers. Mit einem Wattebausch in der Hand sitzt er auf einem Hocker und klarlackiert gerade eine Charanguito. Der Sohn legt eine fertige bei Seite und während er eine weitere aufnimmt um sie mit Saiten zu beziehen, beginnt er: Also ich bin mit der Kleinen von gestern Abend nach Hause und ratet mal wer da schon auf mich gewartet hat?

Wer?, fragt der Ausländer sarkastisch, wofür er einen schräg gereitzten Blick erntet.

Er hat mir nach seiner Assi Vorstellung zuvor, auch noch die Tour vermiest! Ich mein, das war mir eh schon klar als ich ihn da stehen sah.

Beide nicken.

Zuerst lachten wir noch und ich hatte echt noch Hoffnug, dass er heute kein Arsch mehr sein würde, aber ihr kennt ihn ja. Es dauerte keine zwei Minuten und sie riss zornig und unaufhaltsam ab.

Also hat er sich Zeit gelassen, erwidert der Blonde so trocken das die folgende Stille endlos scheint. Dafür ist das anschließende Gelächter der beiden so intensiv, dass es sogar dem alten Maestro zwei, drei Lachgluckser entlockt. Als sie sich wieder einkriegen fügt er hinzu: und dann grinste er selbstzufrieden und ging. Er kam nicht mal mehr mit rein. Genau so als hätte er seine Mission erfüllt und konnte nun frohen Herzens nach Hause gehen.

Wie wir ihn kennen und lieben...

Von wegen lieben, wäre er nicht mit mir verwandt hätte ich ihn schon längst umgebracht!

Du und welche Arme?, ertönt es plötzlich von Richtung Türe.

Der Sohn legt sein Werkstück zur Seite, springt auf und nimmt seinen Cousin in den Schwitzkasten. MIT MEINEN PYTHONS!, ruft er, aber da sein Cousin die widerstandslose Opferrolle nicht aufgibt lässt er gelangweilt von ihm ab. Er kam nur um seine Gitarre abzuholen, redet zwei, drei Takte mit seinen Onkel und verschwindet auch schon wieder.


Basta

Nach Feierabend gehen die zwei Freunde nachhause. Der Maestro nicht. Er bleibt hier. Er hat sein Haus außerhalb der Stadt, doch an manchen Tagen, wie heute einer ist, bleibt er hier und schläft, wenn überhaupt, hinten im Notbett seines Geschäfts. An solchen Tagen arbeitet er alleine, in Ruhe an neuen Klängen bis tief in die Nacht hinein. Er verbirgt seine geheimen Machenschaften recht gut, sodass die Jungs eigentlich nie wissen an was genau er arbeitet, aber wenn er am folgenden Tag gut gelaunt ist, dass heist wenn seine nächtlichen Versuche Früchte trugen, zeigt er ihnen an was er gearbeitet hatte. Meistens schwieg er.

Die Zwei hingegen gehen nachhause und machen sich Pasta zum Abendessen. Während des Kochens fragt er ihn ob er zur Feier des Tages ausgehen wolle.

Nein, erwidert er ohne Anzeichen jedlicher Regung. Seine Daumen und Zeigefinger sind das einzige was er bewegt.

Er hakt nach: Was dann?

Es dauert etwa zwanzig Sekunden bis er, wegen der Niederlage, genervt den Controller zur Seite legt und antwortet: Ich will genau hier in genau dieser Position die halbe Nacht vor der Glotze verbringen und dann in meinen Bus zum Flughafen steigen.

Ich habe nichts davon gehört, warum wir die erste Hälfte der Nacht nicht um die Häuser ziehen.

Ich will ausgeruht sein für den Flug.

Warum schläfst du nicht jetzt ein bisschen?

Mann, ich habs dir bereits erklärt, aber gerne noch mal: ich werde bis morgen Abend wenn ich angekommen bin nicht schlafen. Dadurch bin ich im ganzen zirka 29 Stunden am Stück wach, falle dann ins Bett und wache am Tag darauf ohne Jetleg, völlig entspannt, im dortigen Rythmus auf. Verstanden?

Na gut, beendet er die Diskusion und bringt den Topf und zwei Gabeln zur Couch, während sein Freund eine Folge ihrer Lieblingsserie über einen grenzgenialen Wissenschaftsalkoholiker, seinen Enkel und deren Abenteuer startet. Sie essen gemütlich zu Abend als es plötzlich an der Tür klopft. Die Beiden schauen sich wortlos mit vollen Mündern an. Wissend wer da gerade um Einlass fragte, grinste der eine und der ander nicht. Er hatte einen Ausdruck im Gesicht, der so manchen dazu bringen würde die Straßenseite zu wechseln. Der Ausländer hingegen freut sich über den Besuch und öffnet ihm die Tür. Als ob er gewusst hatte, wann das Abendbrot zubereitet ist, kommt sein Cousin herein, setzt und bedient sich ungefragt. Doch da sie seine Unart bereits kennen reagiert keiner der Beiden darauf. Nur der Blonde, da er sich eine neue Gabel holt.

Nach dem Essen bezahlt er für die Kost, jedoch auf seine Art und Weise, nämlich mit einer Geschichte. Der Eine faltet seine Beine zum Schneidersitz, lässt seinen Kopf in die auf den Ellebogen gestützte Hand fallen und wartet gespannt. Der Ander überdreht die Augen und lässt sich nach hinten in den Sessel fallen. Der Dritte beginnt:


Geschichtsstunde

Ich war damals knapp zehn Jahre alt, als ich begann mein eigenes Geld mit Schuheputzen zu verdienen. Von meinen Vater hatte ich seit Jahren nichts gehört und mit meiner Mutter war das so eine Sache. Manchmal ging es ihr gut und sie hatte einen Freund. Manchmal ging es ihr nicht so gut. An solchen Tagen trank und weinte sie viel, weshalb ich mich um sie kümmerte so gut ich konnte. Sie hatte ja sonst niemanden außer mir. Die meisten ihrer Freunde, deren zurückgelassenen Scherbenhaufen ich wieder zu meiner Mutter zusammenklebte, mochten mich ohnehin nicht. Und die, die es taten hilten es auch nicht lange mit ihr aus. Weshalb ich mehr und mehr Zeit mit meinen Freunden verbrachte als mit ihr. Mein bester Freund damals war Wayna, dessen Eltern einen kleinen Lebensmittelladen am Ende unserer Straße hatten. Manchmal wenn sein Vater gut gelaunt war, das heist wenn seine Mutter seine Großmutter besuchte, schenkte er uns Schokoriegel. Und zwar leckere Markenschokoriegel, die wir uns sonst nicht leisten konnten. An solchen Tagen feierten wir gemeinsam, wir mit unserm Gratiszuckerschock und er mit seiner Freiheit auf Zeit. Wayna hatte dann immer schulfrei, weil er zuhause mithelfen musste, was er in seiner Freizeit sowieso immer musste. Jedoch wurde er dafür bezahlt, beziehungsweise verdiente er sich damit sein Taschengeld.

Dieses Jahr war ein Neuer in unsere Klasse gekommen. Er wurde als Anton vorgestellt und setzte sich still und leise auf den letzten freien Tisch, neben uns. Er sah unfreundlich aus, aber Wayna sprach ihn in der Pause gleich an: Du bist nicht von hier, was?

Nein.

Kennst du hier jemanden?

Nein.

Komm, wir gehen in den Pausenhof und zeigen dir alles.

Ok.

Das ist Santi und ich bin Wayna.

Anton.

Das war der Beginn unserer Freunschaft.


Feierabend

Es dauerte nicht lange und wir verbrachten jede freie Sekunde miteinander, sogar bei der Arbeit. Anton begleitete mich und wir machten gemeinsame Sache beim Schuhe putzen. Es war keine besonders ertragreiche Arbeit, doch man kam über die Runden. An manchen Tagen, meist Wochenends, kamen ein paar schnöseligen Ausländer und gaben Trinkgeld auf unsere bereits erhöhten Touristenpreise. Nach getaner Arbeit holten wir Wayna von seiner Arbeit ab und streifte durch die Stadt, spielten Murmel, verprassten unser hart verdientes Geld oder beobachteten einfach das nächtliche Treiben am Hauptplatz. Eines Abends gingen wir über den Hauptplatz in eine kleine Seitengasse in Richtung des Ladens in dem unser Freund wohl gerade Sperrstunde machte. Wir waren am Weg ihn abzuholen, doch als wir vor der Keipe ‚Oveja Negra‘ vorbeikamen wuden wir fast von der aufschmetternden Tür erschlagen. Wir wichen erschrocken zurück und der Mann der das gewaltsame öffnen verursachte, flog in hohen Bogen über den Gehsteig, schlug auf der Straße auf und blieb regungslos liegen. Ein Zweiter streckte seinen Kopf aus der Tür, spuckte den am Boden liegenden nach, funkelte unsere ahnungslosen Gesichter tollwütig an und verschwand wieder hinter der sich schließenden Tür. Ich konnte mich vorerst gar nicht rühren und stand wie angewurzelt stockstarr da, als Anton auf den Bewusstlosen zu lief und begann ihn zu durchsuchen. Noch bevor ich ihn wegen seines gesellschaftlichen Tabus zurückpfeifen konnte, hielt er mit einem beklopten Grinsen im Gesicht die Brieftasche des KO-Gegangenen hoch, deutete mir mit der anderen Hand ihm zu folgen und rannte los. Als ich die Situation endlich begriff, zuckte ich aus meiner Starre und lief ihm hinterher. Der Mann der vom Schein der durch das Fenster auf die Straße fiel, etwas heller als sein Hintergrund erschien, lag noch immer regungslos am Boden und wurde in der Ferne immer kleiner. Niemand hatte etwas bemerkt. Und wir? Wir rannten um unser Leben. Lunge und Füße brannten wie Feuer. Wir liefen direkt zum Laden, doch eine Hausecke bevor wir ihn erreichten, fing Anton mich ab, drückte mich bedrohlich gegen die Wand und sagte mit schnaufender aber ruhiger Stimme: KeinWort zu Wayna, ok?!

Ich mochte die Vorstelllung nicht voreinander Geheimnisse zu haben, doch manchmal redete er einfach zu viel, weshalb ich es auch besser hielt ihm nichts von dem Zwischenfall zu erzählen. Vorerst.


Geschäftsidee

Als wir am nächsten Tag nach der Schule am Weg zu unseren Arbeitsplatz waren, machten wir im kleinen Park nebenan halt und durchsuchten die Brieftasche. Es verschlug uns, beim Anblick der sich uns bot, beiden die Sprache. Wir zählten. Dreiundzwanzig soles und siebenundfünfzig Centesimos, und ein paar Karten: Ausländisch, uninteressant. Aber das Geld! Manoman! Keiner von uns hatte jemals zuvor so viel Bares auf einem Haufen gesehen. Als wir das begriffen sprangen wir unkontrolliert in die Luft, lachten und umarmten uns. Für uns war es ein Lotto Sechser, unser Glück, unser etwas geborgtes Glück. Somit stand fest, heute wird nicht gearbeitet, heute wird gefeiert, was wir taten. Und wie wir das taten. Wir aßen Salchichas, Gummiwürmer und Schockolade, und zwar abwechseld. Wir warfen Kracher in den Fluss und während diese explodierten meinte Anton plötzlich, das sollten wir viel öfter machen. Ich fragte ihn wie wir das anstellen sollten, woraufhin er antwortete: Ich weis es nicht,... noch nicht. Danach holten wir uns einen Milchshake und gingen nachhause, den Wayna war heute nicht in der Stadt. Er war mit seiner Mutter unfreiwillig seine Oma besuchen. Der Arme. Ich kannte sie nicht, aber was er von ihr erzählte, lud nicht besonders ein das ändern zu wollen.

Der nächste Schultag verlief relativ ereignislos, doch am Rückweg kam ihm dann die Idee. Ich solle weiter Schuheputzen und er beklaut meine Kundschaft aus dem Hintergrund. So könnte man der perfekten Ablenkung, mir, nichts vorwerfen und er kannte die Straßen bereits in und auswendig, zudem war er flink wie ein Windhund. Ich konnte seinem Einfall zunächst nichts abgewinnen, aber je länger er auf mich einredete, desto mehr machte es Sinn. Ich mein ja nur, wenn sie schon das Geld hatten meinen Service in Anspruch zu nehmen, dann hatten sie bestimmt genug davon. Genug um uns etwas davon abzugeben. Unfreiwillig. Also stimmte ich zu, mit der Bedingung vorher etwas zu üben. Was er zunächst für unnötig hielt, aber da ich nicht davon ablies, stimmter auch er zu.


Organisiertes Verbrechen

Wir schwänzten unsere Nachmittagsschicht und gingen stattdessen in unser Geheimversteck um zu üben. Also stelle ich mich tourimäßig hin gaffte etwas in die Luft und er beklaute mich von hinten. Es war gut ihn dazu überredet zu haben, da ich fast jeden seiner Versuche bemerkte. Doch er gab nicht auf und ich stand so lange Modell bis er es perfektionierte. Es dauerte Stunden, doch zum Schluss bemerkte ich nichts mehr und meine Taschen waren leer. So gut vorbereitet saßen wir am nächsten Vormittag wie auf Nadeln und grinsten uns ständig verschworen an, denn wir hatten uns vorgenommen unsere neue Geschäftsidee gleich an diesem Tag in die Tat umzusetzten. Also saßen wir unsere restliche Zeit in der Schule ab und machten uns nach der Glocke gleich auf den Weg. Wie Helden schritten wir dahin. Menschen mit einem Plan. Nichts konnte uns aufhalten. Unbesiegbar, was sich später als unwahr herausstellen sollte. Doch davon wussten wir natürlich noch nichts, also zogen wir unser Ding durch. Wie zuvor besprochen setzte ich mich an meinen üblichen Platz und Anton lauerte am Kiosk auf seine Chance zuzuschlagen. Lange kam niemand und die Zwei die kamen waren das Risiko nicht wert, dass wusste ich, weshalb ich ihm abwunk. Langsam wurde er nervös. Er wollte zuschlagen, aber er wusste auch, dass ich es ohne mein Ok keinen Sinn machte. So verharrte er weiter unauffällig an seiner Ecke und keine zehn Minuten später stampfte ein Fuß auf meinen Schemmel der richtig nach Geld roch. Ich zwinkerte Anton zu. Er verstand und machte sich bereit. Kurz bevor ich mit dem ersten Schuh fertig war warf ich ihm einen weiteren Blick zu, sein Startsignal, damit er die Bewegung des Schuhwechsels zu seinem Vorteil nutzen konnte. Doch dann wirkte unser Opfer, welches seinen starren Blick mit angespannter Miene nicht von der gegenüberliegenden Straßenseite nahm, aufgebracht. Er verzichtete auf den zweiten Schuh, zückte ein Bündel Geldscheine und streckte mir den kleinsten davon entgegen, ohne mir auch nur eine Sekunde seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Als ich aufschaute sah ich nur noch den verängstigen Blick in dem heroisch entschlossenen Gesicht von Anton und im nächsten Augenblick rammte er den Mann von hinten, während er ihm das Bündel Geldscheine aus der Hand riss und davon rannte wie der Blitz. Als mein Kunde sein Gleichgewicht wieder gefunden und begriffen hatte was ihm soeben wiederfahren war zuckte er in die Richtung des Diebes, doch das Gegenüber schien ihm wichtiger, weshalb er die Verfolgung fluchend abbrach und ihm lediglich wütend hinterherfunkelte. Und ich? Ich war noch immer ganz starr von dem Gesichtsausdruck meines Freundes, sodass er mich mit nichts von dem Geschehenen in Verbindung brachte. Er schmiss mir zornig den Geldschein vor die Füße und stampfe in die entgegengesetzte Richtung, seinem Ziel folgend. Befreit aus meiner Starre griff ich nach dem Schein, packte mein Zeug und marschierte schnurrstracks los. Ich versuchte ruhig und unauffällig zu gehen, aber meine Beine zitterten von dem Gefühl seiner bohrenden Blicke in meinem Rücken zu spüren. Doch ich wagte es nicht mich danach umzuschauen. Oder doch? Einmal ganz kurz. Ich sah mich um, er sah mich und ich sah ihn. Stille. Kein Herzschlag. Er machte keine Anstallten mich zu verfolgen und doch sah er mich und ich ihn, er starrte mir direkt in die Seele, ich verschwand hinter der Hausecke und rannte. Ich rannte so schnell wie ich noch nie zuvor gerannt war. Ich war so voller Adrenalin, dass ich den Weg ins Versteck nur noch als Tunnelblick in Erinnerung habe, wo Anton schon auf mich wartete. Als ich noch im Delierium mir die Lunge aus dem Leib keuchte, hielt er mir grinsend ein Büschel Scheine vor die Nase. Ich konnte es nicht glauben. Meine Augen platzten fast aus meinen Schädel als ich das viele Geld sah. Ich sah zu Anton und zeitgleich brachen wir in wildem, unkontrollierbarem Gelächter auseinander. Als wir uns endlich wieder einkriegten und zu Atem kamen, öffnete ich meine immer noch geballte Faust worin sich immer noch meine Bezahlung befand. Ich sah zu Anton, er erblickte meine Hand mit deren Inhalt und durch seinen jauchzenden Aufschrei ging das Gelächter von vorne los.


Expansion

An den folgenden Tagen gingen wir nicht Schuhe putzen. An den folgenden Tagen lebten wir. Wir lebten wie Könige. Nachmittags zumindest. Vormittags saßen wir noch in der Schule und verschwendeten dort unsere Zeit mit Wissen das uns nicht interessierte. Nachmittags ritten wir auf Messers schneide. Entweder wir verprassten unser ergaunertes Geld oder wir waren damit beschäftigt es zu beschaffen. In den folgenden Wochen erbeuteten wir so viel wie wir uns nie zu träumen gewagt hatten, und wir wurden immer besser in unserem neu erlernten Handwerk. Die meisten meiner Kunden bemerkten gar nich wie ihnen geschah, und wenn doch war es bereits zu spät, Anton über alle Berge und ich? Ich wurde, mit meiner aufgesetzten grantigen Mine, wegen des vermeintlichen Beschiss, mit den Fusseln ihrer leeren Taschen abgespeist. Das setzte zwar den Erträgen vom Schuhputz stark zu, aber dafür brummte das Zweitgeschäft! Und zwar so sehr, dass sich auch Wayna zu Wundern begann wo wir unsere neue Kleidung her hatten. Und als er nicht mehr mit unseren offensichtliche Ausreden zufrieden gab, mussten wir ihn einweihen, was wir zögernd taten. Als er davon hörte, war er sogleich Feuer und Flamme für die Sache. Er sagte seinen Eltern er würde einen Nachhilfekurs besuchen, wodurch er zweimal die Woche von seiner Arbeit freigestellt wurde um mit zu machen. Es war gut einen weiteren Mitverschworenen zu haben. Er stand in Antons Fluchtrichtung Schmiere und konnte notfalls als Unwissentlicher gut im Weg herum stehen, um dem eventuellen Verfolger seine Jagd zu vermiesen. Das lief einige Zeit richtig gut und verhalf uns in einigen brenzligen Situationen zum entscheidenden Vorteil. Eines lauen Nachmittags jedoch kam es wie es kommen musste. Ich bekam Kundschaft. Als er seinen Fuss am Hocker abstellte und seine Jacke zurückschob, während er seine Hände in die Hüfte stützte, blitzte sein Scheriffstern vom Gürtel. Er begann sich nichtsahnend umzusehen und ich begann zu bürsten. Unauffällig sah ich zu Anton rüber und signalisierte ihm mit langsamen Kopfschütteln und eindringlichen, starren Blick 'Nein'. Er sah mich an und formte mit seinem Zeigefinger und Daumen einen Kreis. Erleichtert schmierte ich Paste nach und fuhr fort. Ich war gerade mit dem ersten Schuh fertig, da sah ich seine grinsende Fraze hinter meinen Kunden, was ich mit einem erschrockenem 'Nicht' unbeabsichtigt kommentierte. Der Scheriff blickte mir fragend in die Augen und bemerkte dabei keinen der geschickten Finger meines Freundes. Ich entschuldigte mich und bat ihn um den zweiten Schuh. Ich fing an und er begann wieder damit sich umzusehen. Eine Schmierung und 45 Bürstenhiebe später, war ich fertig und bat ihn um meine Bezahlung. Als er seine fehlende Brieftasche bemerkte hatte ich mein verdutztes, wo-bleibt-mein-Geld Gesicht bereits aufgesetzt. Ohne sich darüber zu wundern blickte er mir streng in meine fragenden Augen. Er sagte kein Wort. Er konnte nicht. Er wusste nichts. Ich grinste und bemerkte es im selben Moment wie er - ich hatte mich verraten und er wusste es. Ich sprang auf, versuchte zu fliehen, aber er packte mich am Kragen und sagte ruhig und voller Stolz mich entlarft zu haben: "Also das ist deine Masche. Na los rück es wieder raus du kleine Ratte!" Ich schwieg. Ich brachte keinen Laut von mir. Er wurde zornig und schüttelte mich beim durchsuchen gehörig umher. Nachdem ich ein jaulendes 'HEY' von mir gab, packte er mich mit festem Griff und mit einem Nasenabstand von nicht mehr als einen Zentimeter, fragte er mich noch mal nach seiner Brieftasche. Ich brachte noch immer kein Wort raus, was er als reine Provokation auffasste. Er legte mir Handschellen an, zog mich zähneknirschend hinter sich her zu seinem Wagen und brachte mich rasend auf die Wache. Dort angekommen zerrte er mich in einen Raum ausgestattet mit einem Sessel, einen Tisch und einer tiefhängenden Lampe, setzte mich hin und begann von der anderen Seite des Tisches aus auf mich einzureden. Zu Anfang war ich zu verängstigt was zu sagen und er zu ungeduldig auch nur den Ansatz einer Antwort abzuwarten, doch mit der Zeit wurde ich ruhiger und sagte aus bloßem Trotz nichts mehr. Und weil es mir gefiel wie er noch wütender wurde und nichts gegen mein Schweigen ausrichten konnte. Doch dann kam er auf die Idee meine Tasche zu durchsuchen und fand so meinen Namen auf einem der Schulhefte. Er klatschte es vor mir auf den Tisch, strafte mich triumpfierend nochmals mit einem seiner Blicke und verlies das Zimmer. Eine gefüllte Ewigkeit später kam er zurück und ihm folgte meine vor Wut kochende Mutter. "Na los", sagte sie mit zum Reisen gespannten Stimmbändern, während ein Beamter mir noch die Eisen abnahm. Ohne mich wahrzunehmen unterschrieb sie beim Gehen noch ein Dokument. Dann folgte ich ihr still schweigend zum Auto, stieg ein und sie fuhr los.


Neue Wohnsituation

Kein Wort, Kein Laut, Kein Räuspern gab sie während der Fahrt von sich. Nicht mal das Radio war angeschalten, was sonst immer an war. Nur das Glucksen des reparaturbedürftigen Motors lies die Hochspannung im Fahrzeug nicht überschlagen. Als wir zuhause ankamen und ich ausstieg sagte sie ihren einzigen Satz diesbezüglich: "Gratuliere, nun hast du es geschafft." Erst jetzt bemerkte ich den Koffer auf der Rückbank und sie fuhr los. Das war das letzte Mal das ich sie gesehen habe. Ich glaube ich habe wohl ihr Fass zum Überlaufen gebracht oder derartiges. Jedenfalls war ich ganz und gar nicht stolz darauf 'es geschafft' zu haben. Doch damals wusste ich noch nicht, dass das das letzte Mal war das ich sie sah, daher nahm ich es, meiner Unwissenheit sei Dank, gelassen. Am Tag darauf in der Schule wartete Anton schon auf mich. Etwas beschämt dafür abgehauen zu sein, war das erste was ich zu hören bekam seine Entschuldigung. Ich hatte Anton am Vortag die ganze Schuld für den Schlamassel gegeben, doch wenn ich mir ehrlich war, wäre ich genauso abgehaun, allerdings hätte ich wiederum, ihn erst gar nicht beklaut. So wie so war es eine beschissene Lage. Ich erzählte ihn von der Polizeistation, davon als mich meine Mutter abholte, wie sie mich absetzte und losfuhr. Er war sprachlos. Ich hatte ihn noch nie sprachlos erlebt. Er umarmte mich und ich stand wie angewurzelt da. Ich spürte wie meine Schulter nass wurde, genau wie meine Augen. Wir umarmten uns weinend.

Ich wohnte von nun an also alleine, was zu Anfang zwar seltsam war doch sich sehr schnell als die totale Freiheit herausstellte. Keiner war mehr da um mich früh morgens für die Schule zu wecken. Also ging ich einfach nicht mehr hin, sondern schlief aus, ging einkaufen, vertrieb mir die Zeit bis zum Nachmittag und ging dann wieder zur Arbeit. Ja, wir übten unser Handwerk weiterhin aus, nur diesmal mit System. Wir beobachten sie während uns beobachteten. Glaubten sie zumindest. Wir achteten auf ihre Routen, ihre Zeiten, mit wem sie sprachen, wer mit ihnen sprach und beklauten alles und jedermann hinter ihren blinden Rücken. Sie wogen sich in der Gewissheit die Kontrolle zu haben die sie schon lange abgegeben hatten.

Eines Abends saßen Anton und ich bei mir zu Hause, als ich es einfach nicht mehr aushilt und ihn mein Herz ausschüttete. Ich glaubte nicht mehr daran meine Mutter je wieder zu sehen und es war schon etwas eigenartig alleine zu wohnen. Da kam er auf die glorreiche Idee auch die Schule zu schmeisen und bei mir einzuziehen. Gesagt, getan. Es war großartig, wir lebten in vollen Zügen, wie im Schlarraffenland, keiner konnte uns aufhalten bis eines schönen Morgens die Realität an die Tür klopfte. Ich öffnete ihr. Es war der Vermieter. Er wollte Geld. Er würde uns rausschmeisen, brüllte sein kochender Kopf und fragte anschließend nach meiner Mutter. Ich fragte ihn, wie viel Geld er wolle. Er verdutzte und nannte etwas verzögert seinen Preis. Ich lies ihn an der geöffneten Tür stehen und kam mit der genannten Summe und etwas mehr, wegen der Umstände, in bar zurück. Sein Kopf war immer noch rot doch sein Blick verriet mir seine vorläufige Befriedigung. Wir verstanden uns, gut genug.


Winwin Situation

Wir drehten damals viele krumme Dinger. Wir beklauten Leute während des Schuhputzes, stahlen aus Autos, von Lastkraftwagen, aus Läden. Wir hatten sogar ein Logo, einen Totenkopf mit Zylinder und einer Rose zwischen den Zähnen, und nannten uns die ‚Lady Sculls‘. Wir hatten auch viele Mädchen. Die mochten es wenn man ihnen Milchshakes spendierte und wir mochten sie. Mehr, wir liebten sie. Wenn sie uns ran liesen.

Eines Tages am Nachhauseweg von der Schule kam Wayna mit einer Idee. Eine solcher Ideen, bei denen man am Anfang nur den Kopf schüttelte, jedoch umso mehr man sich mit dem Gedanken anfreundete, desto besser erschien sie. Er hatte im Laden zwei Männer belauscht die gerade einen Autoraub planten und das Fahrzeug anschließend in eine Werkstatt brachten. Er meinte wir sollten es auch probieren. Auf meine Frage hin, wie wir das anstellen sollten, antwortete er: “Ich kann zuhause jeden Schlüssel nachmachen. Wir klauen es und verkaufen Großmutters Auto einfach an die Werkstatt.”

“Aber um den Schlüssel nachzumachen müssen wir ihn erstmal haben”, erwiderte Anton.

“Hmm stimmt”

“Du bist so ne’ Flasche”, fuhr er fort.

“Aber wenn wir die Scheibe einschlagen, bräuchten wir gar keinen Schlüssel…”

“Und wie bitte sollen wir die Karre dann starten?”

“Achja, hmm – kurzschliesen?”

“Und du weist wie das geht was?”

“Kann ja nicht so schwer sein”

“Wenn man weis wie wahrscheinlich nicht, außerdem ist Scheibe einschlagen zu laut”, funkte ich dazwischen.

“Du nimmst ihn doch nicht wirklich ernst?!?!”, erschrack Anton.

“Ich ziehe es zumindest in Betracht.”

“Du spinnst ja. Ihr spinnt ja beide.”

“Das dachte ich auch als du damals von dem Typen der aus der Kneipe flog die Brieftasche gezwackt hast.”

“Das war etwas komplett anderes!”

“In wie fern?”

“In so fern das das kein verdammtes Auto war! Und außerdem hab ich einfach die Chance ergriffen die sich mir bot.”

“Was für ein Typ?”, fragte Wayna und wurde ignoriert.

“Ja und jetzt bietet sich eine neue Chance.”

“Aber ich seh kein Auto rumstehen das darauf wartet von uns geklaut zu warden.”

“Noch nicht!”

“Darauf lass ich mich nicht ein.”

“Noch nicht.”

Die Diskussion dauerte noch bis ins Wohnzimmer an, doch letztlich überzeugte ich ihn einen Versuch zu starten. Am nächsten Tag fuhren wir auf den Schrottplatz um zu üben. Wayna brachte verschieden Rohlinge aus dem Laden und eine Feile. Anton und ich brachen ein paar Schlösser aus den Rostlauben und brachten sie zu ihm. Er zerlegte sie und fertigte passende Schlüssel an, die wir anschließend an anderen Autos des gleichen Typs probierten. Natürlich waren alle verschieden, doch mit einer gesunden Mischung aus Gefühl und Gewalt, sperrten manche. Nun waren wir überzeugt unseren Plan in die Tat umzusetzten. Noch in derselben Nacht machten wir einen Streifzug um die Lage zu checken und potentielle Autos auszuforschen. Wenn Autos schon länger standen, würde es auch länger dauern bis sie vermisst wurden, deshalb und um ungestört arbeiten zu können schlichen wir in der nächsten Nacht gegen Mitternacht in den Parkplatz nahe unserer Schule. Anton und ich standen Schmiere und Wayna machte sich ans Werk. Wir probierten an etwa 5-6 Karren unser Glück, bis wir einen alten blauen Ford fanden bei dem wir schließlich Erfolg hatten. Wayna sperrte ihn im nu auf und startete ihn. In unsere Aufregung rannten wir zu ihm und sprangen auf. Wie auf Nadeln fuhr Wayna im Schritttempo über den Parkplatz und wir hockten, jeden Wickel davon absuchend, neben ihm. Nichts zu sehen. Als wir ihn verliesen, beschleunigte er auf normale Geschwindigkeit und wir fuhren durch die stille Nacht. Wir waren so angespannt das keiner von uns einen Laut von sich gab, bis Wayna das Schweigen brach und fragte: “Wir sind da und es brennt noch Licht. Wer übernimmt das Reden?” Anton und ich sahen uns an und wussten was zu tun war. Schere, Stein, Papier. Ich gewann und er ging voran hinein, während Wayna im Auto wartete. Der dicke Werkstättenbetreiber schraubte gerade an einer Karrosse, als wir eintraten. Anton lies die coole Socke raus und sprach ihn an. Es dauerte etwas bis er seine Tätigkeit sein lies, seinen Kopf aus dem Motorraum zog und uns skeptisch musterte. Anton erzählte im vom Auto seiner verstorbenen Großmutter und das er es loswerden wolle. Mit einem murrischen `lassmalsehn` folgte er uns nach draußen, während er seine Hände im schmutzigen Fetzen aus seiner hinteren Hosentasche zu säubern versuchte. Er sah das Auto mit hängenden Gesicht vom Garagentor aus an und bot: “100 Kröten.” Anton und ich strahlten uns an und schlugen ein. Wir wussten es war weit unter Wert, aber wir wahren froh das Geschäft gemacht zu haben und die Karre noch in derselben Nacht wieder los zu sein.


Angestellt

Mit dem Autodiebstahl schlugen wir eine neue, viel profitablere Richtung ein. Und das Risiko war auch überschaubarer als die Leute während des Schuhputzes zu beklauen, weil wir von nun an in Ruhe und im Schutze der Nacht agierten. Wayna knackte die Karren und wir hielten ihm währenddessen den Rücken frei. An einem lauen Sommerabend waren wir wieder erfolgreich am Werk gewesen und brachten den Wagen in die Werkstatt unseres Vertrauens. Wir traten ein während der Garagenmeister gerade mit einem Mann in Anzug und Fedora sprach. Ich sah nur seinen Rücken, doch selbst dieser Anblick lies es mir kalt über den Rücken hinunter laufen. Als der Alte uns sah wies er aus dem Gespräch heraus in unsere Richtung. Der Blick des Unbekannten folgte seiner Gestik. Er musterte uns einzeln, dann sah er mich. Ich sah ihn und er sah mich. Ich erkannte diese Augen, die mir tief in die Seele blickten und wusste plötzlich woher der anfängliche Schauer kam. Ich erstarrte vor Angst. Er drehte sich ganz zu uns um ohne seinen Blick von mir zu lassen. Einer seiner Mundwinkel zog sich verschmitzt nach oben und er kam bedrohlich auf uns zu. Er baute sich vor uns auf und begann seelenruhig ein Paar schwarze Lederhandschuhe aus der Innentasche seines Mantels zu ziehen. Dann sprach er feststellend, während er sich den linken Handschuh überstreifte: “Ihr drei Jungs klaut also Autos.” Keiner gab einen Mucks von sich. In aller Stille zog er sich den Zweiten über und fuhr fort: “Also entweder ihr arbeitet von nun an für mich, oder”, und dabei zog er seinen 1911 Colt aus dem Holster, “ihr macht schleunigst die Fliege und lasst euch hier nicht mehr blicken.” Fassungslos und mit offenem Mund starrte ich ihn an. Er stand mir eine Antwort erwartend gegenüber. Ich sah fragend zu Wayna und dann zu Anton, die ebenso sprachlos waren. Doch als Anton zu grinsen begann stand die Entscheidung fest, woraufhin ich dem Ganoven zunickte. “Gut”, sagte er, “ihr hört von mir. Und bis dahin rührt ihr kein Auto an, verstanden?!” Damit verabschiedete er sich ohne eine Antwort abzuwarten, steckte seine Waffe wieder weg und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Wir sahen uns wortlos an und gingen auf den Werkstättenleiter zu. Er sah uns unsere Verwirrung an, gab uns das Geld für den Wagen und meinte wir sollen in drei Tagen wieder vorbeischauen, dann wisse er mehr. Daraufhin beschäftigten wir uns vorerst anderwertig, in legaler Art und Weise und vor allem in hübscherer Gesellschaft.

Drei Tage darauf bekamen wir die Möglichkeit unser Können unter beweis zu stellen. Der dicke Werkstättenleiter sagte uns Marke, Farbe und Standort des Fahrzeugs und wir machten uns auf den Weg. Es befand sich nicht in unserem üblichen Revier, weshalb er uns zur besonderen Vorsicht riet, was wir nur belächelten. Als müsste er uns unser Handwerk erklären. Pff, wir wussten schon was wir taten und marschierten los. Etwa eine halben Stunde später waren wir am Ziel und machten wie üblich zwei Kontrollrunden bevor wir uns in Positon brachten und Wayna sich an die Arbeit machte. Es war ein neuerer Wagen, doch die Straße war menschenleer. Somit hatte er genügend Zeit ihn in Ruhe aufzuschließen. Keine fünf Minuten später waren wir schon drei Blocks weiter am Weg in die Werkstatt. Es war fast beängstigend. Wir hatten uns unseren ersten Auftrag schwieriger vorgestellt, doch es verlief wie am Schnürchen. Fast schon zu gut. Beim Dicken holten wir uns unsere Gage ab die dismal dreimal so hoch war wie üblich, da er sehr zufrieden mit uns war. “Wem gehörte die Karre eigentlich?” frug Anton. “Das geht dich nichts an!”, fuhr er ihn an und damit war das Thema vom Tisch. “Kommt morgen Abend wieder her, dann hab ich wieder was für euch. Und jetzt verschwindet.”

Wir wunderten uns noch über seine Reaktion, doch vergaßen sie bereits beim Nachhausegehen und freuten uns über die Moneten. Am nächsten Abend bekamen wir unser nächstes Ziel bekannt gegeben und machten uns nach Mitternacht auf den Weg. So gings weiter. Manchmal sagte er uns Ziel und Standort, manchmal nur ein Kennzeichen, was die Suche unverweigerlich verlängerte und manchmal auch nur Fahrzeugtyp und gewünschte Farbe. Uns war es egal. Wir klauten jede Karre und kassierten. Wodurch es nicht lange dauerte bis wir uns unser eigenes Gefährt leisteten, was wir sogar auf legalem Wege machten. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen und einfach weil wir es uns leisten konnten. Und auch ein bisschen um der Polizei auf der Nase zu tanzen.


Schattenspiel

Mit unserem neu erworbenen Spielzeug machten wie die Stadt unsicher. Also mehr als zuvor. Wir luden Mädchen ein, fuhren mit ihnen ins Autokino, setzten sie wieder ab, erledigten unseren Job, holten sie wieder ab und feierten die ganze Nacht. Abende wie dieser waren keine Seltenheit, doch eines schönen Abends kam es anders. Wir fuhren durch die Stadt auf der Suche nach Abendteuer. Frohmutig gondelten wir umher und dachten an nichts Schlimmes. Doch als wir auf eine kleine, seelenleere Kreuzung zurollten geschah es.

Peng! Peng!

Zwei Schüsse und die dazugehörigen Lichtblitze, welche ich aus dem Augenwinkel von der sich auftuenden Seitenstraße vernahm, fixierten meinen Blick in Sekundenbruchteilen auf die Hausecke, die im weiterrollen langsam deren Quelle preisgab. Das Licht der einzigen Straßenlaterne flackerte schwach, während unter ihr eine Shiluette zuerst auf die Knie und dann weiter zu Boden sank.

Ihr gegenüber stand eine Zweite. Unsere Perspektive änderte sich, doch die Figuren verharrten regungslos bis zur Mitte der Kreuzung, an der Anton das Fahrzeug fast zu stehen brachte. Nur durch das schimmernde Spiegeln der Brille war zu erkennen, dass die Aufmerksamkeit des Stehenden nun nicht mehr seinem Gegenüber galt, sondern uns. Im folgenden Lichtflackern hatte er auch seinen Körper uns zugewandt und schien auch näher gekommen zu sein obwohl er stillstand. Dunkelheit. Licht. Er lief auf uns zu! Anton trat beinahe das Pedal durch den Unterboden. Dunkelheit. Die Reifen schoben den Wagen unter ohrenbetäubenden Quitschen in die Flucht. Etwa zweihundert Meter später erkannte ich das Gequietsche erst als mein eigenes Angstgeschrei. Als ich es einstellete bemerkte ich das der Beiden, die meine fassungslosen Blicke zum Aufhören und durchatmen brachten. Was war gerade eben passiert? War es Realität? Wir versuchten es zu verstehen, doch wir kamen auf keinen grünen Zweig. Wir hatten alle dasselbe gesehen, aber keiner wollte es glauben. Keiner konnte es glauben. Völlig aufgelöst fuhren wir in jener Nacht noch stundenlang durch die Straßen des gegenüberliegenden Stadtteils. Als die Dämmerung begann wussten wir noch immer nicht wie uns geschah. Dann brachte Wayna den einzig vernünftigen Vorschlag in die Wohnung zu fahren, was wir taten. Wir sanken verwirrt und komplett durch auf die Couch und keine zehn Minuten später schliefen wir Kopf an Schulter an Kopf bis zum Abend.


Kugelhagel

Wayna erwachte als erstes, bekam Hunger und begann Pasta zu machen. Der Geruch den er dabei aufsteigen lies zog uns ander Nase geradewegs zu ihm in die Küche. Während wir uns stärkten fragte Anton, was wir jetzt tun sollten. „Das Land verlassen?“, antwortete er sich selbst, „oder zur Polizei gehen?“

„Dann sind wir genauso tot. Ich schlage vor wir fahren erst mal in die Werkstatt.“

Die Beiden stimmten zu und wir aßen auf. Danach cruiseden wir immer noch etwas angespannt durch die Stadt zur Werkstatt. Nachdem die Tür davon hinter uns ins Schloss fiel kam uns bereits der Dicke entgegen und sagte es sei etwas Schlimmes passiert. Der Don wurde gestern erschossen. Die Polizei hat ihn am Morgen gefunden und brachte den angeblichen Auftragsmord mit drei jungen Männern in Verbindung. Am Ende des Satzes wurde seine Stimme rasend laut und in seiner Rage zieht er einen Revolver, den er mir, mit rotem kochenden Kopf und davon herausquellenden Augen, aufs Hirn richtete. Er schrie: „Ihr habt vielleicht Nerven euch hier blicken zu lassen!“ „Aber wir waren es nicht…“, erklärte Anton. Augenblicklich wechselte er sein Ziel und brüllte: „Halts Maul, Arschloch!“ Sein Finger zitterte am Abzug. Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Jahre, Millionen Unendlichkeiten in einem Moment. Eine Schweißperle kullerte ihm über die Wange ans Kinn. Er wischte sie in seinem Ärmel und senkte die Waffe etwas. Mit agressiver Stimme fuhr er fort: „Ich sollte euch auf der Stelle eine Kugel in eure gottverdammten Schädel jagen!“ Aber er tat es nicht. Er gab uns eine Stunde Vorsprung, der alten Zeiten wegen. Und den Tipp uns schleunigst zu verpissen, da die ganze Stadt nach uns suche. Überstürtzt flüchteten zur Tür raus und bretterten davon. Ratlos fuhren wir zurück in die Wohnung ein paar Sachen packen und raus aus der Stadt. Als wir die Treppe hoch liefen sah ich wie der Vorhang des Vermieters hastig zugezogen wurde, wunderte mich jedoch nicht darüber, da ich damals noch nichts davon wusste, dass er uns ausgeliefert hatte. Wir betraten die Wohnung und uns erwartete bereits die Polizei. Flucht? Zu spät. Wir waren in der Falle und wurden, unter Mordverdacht stehend, festgenommen. Als wir über die Treppe hinunter abgeführt wurden empfingen uns noch mehr Blaumänner, die uns zu einem ihrer Kleinbusse eskortierten. Am Weg dorthin fuhren im Hintergrund meines Blickfelds zwei schwarze Limusinen vor, hielten auf der Mitten Straße und liesen anschließend die Fensterscheiben nach unten. Aus dem dunklen Unerkennbaren Inneren blitzten Lichter auf, die unter schlachtfeldähnlichem Lärm rund um uns einschlugen. Von den Beamten ging einer nach dem anderen unter Blutfonänen zu Boden. Es schien so als hätten sie es nur auf die Polizei abgesehen, denn wir blieben unversehrt. Wer kam uns da zu Hilfe? Niemand. Sie stoppten das Feuer, weil kein Uniformierter mehr stand. Wir wurden gerettet?! Fehlanzeige. Die zweite Welle des Kugelhagels traf uns mit voller Wucht. Es war ein Tötungskommando, ausgesandt um uns hinzurichten. Und das tat es, sorgfälltigst.


Auf Wiedersehen

Ich hatte bis zu jenem Tage noch nie eine Waffe in der Hand gehabt, geschweige den eine abgefeuert, doch von nun an wusste ich wie sie sich anfühlte: schmerzvoll ist kein Ausdruck, doch ich überlebte mit sechs Kugeln im Leib. Ich hatte verdammtes Schwein gehabt. Sie zerschossen mir die Beine, rechte Schulter und Arm und eine Kugel traf mich in den Bauch. Ich wäre beinahe verblutet und doch überlebte ich. Die Ärzte im Krankenhaus flickten mich wieder zusammen und als ich das nächste Mal aufwachte realisierte ich erst meine Lage. Jedes Mal wenn die Tür aufging rechnete ich mit dem Besuch der Gentlemen aus den schwarzen Limousinen, doch sie kamen nicht. Ich hatte mir damals oft gewünscht an der Seite meiner Freunde gestorben zu sein, oder zumindest ihnen hinterher geschickt zu werden. Entweder sie hatten mich vergessen, was ich sehr bezweifelte oder aber sie statuierten ein Exempel und liesen mich als Bote am Leben. Geliefert war ich ohnehin, denn die Polizei hatte nur darauf gewartet bis ich fit genug war die Intensivstation zu verlassen, um mich hinter Gitter zu bringen. Ich wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Sogar den Mord an dem Cop in der Seitengasse hingen sie mir an und verurteilten mich zu lebenslanger Haft. Im Gefängnis lernte ich dann den Umgang mit der Gitarre. Ich hatte ja Zeit. Hab ich euch das schon erzählt?

Mit einem lang gezogenen ‚NEEEEIIIINNN‘, rollt sich der Blonde freudig auf den Bauch und stützt seinen Kopf in seine beiden Hände.

OHH Mann, du bist voller Scheiße, murmelt sein Cousin vom Couchsessel aus. Wann soll denn das alles gewesen sein?, fährt er genervt fort, als WIR zusammen zur Schule gegangen sind?! Vom Kindergarten bis zur Oberstufe?!

Na gut, dann ein anderes Mal, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht und steht auf. Er verabschiedet sich kurz und verschwindet so schnell wie er gekommen ist.

Du gönnst mir aber auch gar nichts, scherzt er mit ein klein wenig Entäuschung im Unterton.

Und du hast ihm nichts davon erzählt das du heute Nacht abhaust?

Ja verdammt, du weist doch wie sehr ich Abschiede hasse. So ists einfacher.

Mit einer anfangs verachtungsvoll hochgezogenen Augenbraue, doch mit abschließend akzeptierenden Schulterzucken beendet er das Gespräch und setzt sich zu ihm auf das Sofa. Sie schauen die restliche Nacht gemeinsam fern. Er bleibt mit ihm bis in die frühen Morgenstunden wach, um ihn als Einziger zu verabschieden. Der Blonde würde es nie zugeben, aber er ist doch froh jemanden auf Wiedersehen sagen zu können. Mit einem simplen ‚Bis zum nächsten Mal, Dumpfbacke‘ und einer langen Umarmung geht er. Der Sohn schließt hinter sich die Tür, dreht sich mit einem weinenden und einem lachendem Auge um und legt sich schlafen.


Flashback

Ein mulmiges Gefühl nach über zwei Jahren wieder in ein Flugzeug zu steigen. Er weis es ist eine lange Reise, eine anstrengende, doch Jahre später sieht er warum er diesen Weg beschritten hat. An manchen Tagen zeigte ihm das Schicksal ganz besonders, warum es all die Mühe und Anstrengungen wert gewesen ist. An solchen Tagen schwebt er über den Wolken, nichts kann ihm etwas anhaben. Heute ist so ein Tag, denn er ist gerade auf einem Konzert seiner Lieblingsband. In der rechten Hand ein Bier, in der Linken seine Liebe. Eine Zugabe noch und dann noch etwas Mut! Mut sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Seine Liebe, seinen ganzen Stolz, das Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit, seines Schweises und seines Blutes in Form einer Gitarre, wird er ihr nach dem Konzert schenken. Sie hat heute Geburtstag und als das letzte Zupfen über die Anlage ausklingt wartet er bereits am Bühnenabgang. Sie hopst über die drei Stufen herab. Der Puls steigt. Sie sieht ihn. Er sieht sie. Beide lächeln. Er hält die Gitarre hoch und zeigt darauf. Sie nähert sich mit fragendem Blick. Ein Geschenk, stottert er, zum Geburtstag. Sie starrt ihn verwundert an. Er nickt. Sie umarmt ihn und nimmt sie mit fassungsloser Freude an sich. Überfordert mit zwei Gitarren in den Händen drückt sie ihm ihre alte in die Hand und beginnt ihre neue zu spielen. Er verliert sich in dem Moment seine Heldin auf der von ihm gefertigten Gitarre spielen zu sehen. Sein Handwerkerherz jedoch lenkt seine Aufmerksamkeit kurz auf die in seiner Hand. Eine kleine, gut eingespielt, handgefertigt. Ein Flashback, ausgelöst vom Logo des Erzeugers hackt seinen Unterkiefer, sowie Verstand komplett aus. Und als er sich Sekunden später wieder findet erkennt er wer da gerade vor ihm steht. Unmöglich! Und doch gibt es keinen Zweifel. Es passt alles zusammen. Es ist die kleine süße Brünette die Jahre zuvor im Laden seines Lehrmeisters diese Gitarre gekauft hatte. Sie hatte sie immer noch. Viel mehr, sie hatte sie die ganze Zeit gespielt. Jetzt spielt sie auf einer seiner. Er träumt. Nein! Verdutzt blickt er zurück auf das Instrument in seiner Hand und wie von Geisterhand gelenkt starrt er auf ihr Inneres, wo ein Sticker, denn er schon so oft, aber lange nicht mehr gesehen hatte, eine weiteren Geistesblitz auslöst. Die Initialien LS die er stets für die seines alten Meisters, Luis Santiago, gehalten hatte, könnten für ‚Lady Sculls‘ stehen. Und der Totenkopf im Hintergrund, mit den zwei Rosenaugen, könnte für Anton und Wayna stehen, was die Geschichte vom Cousin war machen würde, nur das der Hauptdarsteller getauscht wurde. Hatte er damals eine wahre Geschichte erzählt bekommen? War das Luis Vergangenheit? Geht’s dir gut?, holte ihn ihre liebliche Stimme aus seinem Gedankenwirrwarr. Er erschrickt kurz, sieht sie entgeistert an, zieht seinen Unterkiefer nach oben und antwortet: Nein, Ja … ich … ähh … diese Gitarre … hat einen langen Weg hinter sich.

Du hast ein gutes Auge dafür was? Sie schaut ihn an: Deine Augen… du? Du bist dort gewesen, als ich …

Als du sie gekauft hast, ja.

Sie starren sich durch die Fenster der Seele auf genau diese. Sie verlieben sich.


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